Stille Projektionen: Komplimente
2024, Gespräch zwischen Anne Schülke und Thyra Schmidt über die Ausstellung
Die Ausstellung Komplimente ist Teil der Reihe Stille Projektionen, kuratiert von Anne Schülke für Quartier am Hafen|Q18, Köln.
Anne Schülke Wenn ich den Raum betrete, sehe ich rechts an der Wand eine Reihe von Siebdrucken. Gegenüber eine Projektion. Der Raum ist nicht abgedunkelt. Durch die großen Fenster kann ich auf eine belebte Einkaufsstraße schauen. Die Projektion zeigt einen Dialog. Beim Lesen des Dialogs an der Wand habe ich das Gefühl einem Gespräch zu folgen, das nicht für eine öffentliche Situation bestimmt, das eher intim ist. Ich kann den Text, den ich beim ersten Lesen wie einen Chat auf dem Smartphone verfolge, auch von draußen, von der belebten Einkaufsstraße aus wahrnehmen. So entsteht eine Spannung zwischen verschiedenen Räumen. Wie würdest Du diese Räume beschreiben? Und was bedeutet Intimität für Deine Arbeit?
Thyra Schmidt Die Inhalte meiner Arbeiten basieren auf Erlebnissen und Beobachtungen, die mich nicht mehr loslassen und die für mich von Bedeutung sind oder werden. Dabei beschäftige ich mich mit Menschen in meinem Umfeld und versuche unterschiedliche Sichtweisen aufzugreifen. Ein stetiger Perspektivenwechsel kann vielschichtige gedankliche Räume entstehen lassen. Ich denke, Intimität ist etwas, was uns alle verbindet.
Anne Der Dialog zwischen den Figuren im projizierten Text ist so offen, dass unklar bleibt, wer spricht. So entstehen auch Räume zwischen den Wörtern. Das finde ich sehr angenehm, weil ich mich in dieses Dazwischen hineindenken und hineinfühlen kann. Möchtest Du etwas über Deine Arbeitsweise erzählen? Wie ist der Text entstanden?
Thyra Der Text ist als Reaktion auf eine Postkartenserie mit einem wiederkehrenden Fotosujet, das mir als Vorlage für die Siebdrucke diente, entstanden. Er kann aber auch unabhängig von der Bildreihe als eigenständige Arbeit betrachtet werden. Während ich einen Text entwickle, habe ich auch immer dessen bildnerische Komponente und die Umsetzung in einem geeigneten Medium im Blick. Das Sequenzhafte des Kartenmotivs suggeriert eine zeitliche Abfolge, die ich mit der Form des nach und nach projizierten Dialogs wieder aufnehme.
Anne Die Postkartenserie und Deine Siebdrucke zeigen auch eine Abfolge von Posen: Eine weiblich gelesene Person wartet; sitzend und untätig. Ihre Hände sind gefaltet, an Brust und Kinn gelegt oder halten ein Portrait. Sie performt Weiblichkeit als eine Idee von Geschlecht. Wie hast Du darauf reagiert?
Thyra Die Dialogform war nicht nur eine formale Entscheidung. Als Reaktion auf diese konservative Darstellung von Weiblichkeit wollte ich eine feminine, erotische und humorvolle Textarbeit machen und erfand hierfür eine Konversation zwischen Muse und Künstlerin, in der die beiden Figuren ineinander übergehen. Im Gegensatz zum eher klassischen Bild der passiven Muse, interpretiere ich diese Figur als aktiv teilnehmend.
Die Projektion findet im Loop statt. Der bewusst kurz gehaltene Inhalt kann so immer wieder neu gelesen werden. Durch die Wiederholung lassen sich einzelne Aspekte unterschiedlich deuten, was aus meiner Sicht auch eine Mehrstimmigkeit hervorrufen kann.
Anne Wenn ich mich den Siebdrucken genauer zuwende, spüre ich, dass die Motive nicht zeitgenössisch sind. Im Begleittext erfahre ich, dass die Postkarten im 1. Weltkrieg als Teil der Kriegspropaganda eingesetzt wurden. Steht die Arbeit für Dich in einem Zusammenhang mit heutigen Kriegen?
Thyra Vor dem 1. Weltkrieg gab es nebeneinander verschiedenste Kunstbewegungen mit internationalen Künstler*innengruppen in Deutschland, in Europa. Geprägt von männlichen Künstlern; Frauen hatten in kaum einem Land Wahlrecht und zu Kunstakademien oft nur einen eingeschränkten Zugang, dennoch waren auch sie in der Kunstszene einflussgebend. Der Krieg unterbrach die Zusammenarbeit diverser Gruppierungen, verbannte die Beteiligten zurück in ihre Herkunftsländer oder an die Fronten. Das dazu gelieferte Bild der Kriegspropaganda, mit der Frau am heimischen Tisch auf ihren Soldaten wartend, ist schlicht absurd. Auf diese Vorstellung reagiere ich als Künstlerin.
Dieses künstlerische Selbstverständnis wird konfrontiert mit aktuellen Kriegen, die uns wieder und wieder vor Augen führen, dass Gewalt gegen Frauen und den weiblichen Körper gezielt als Kriegswaffe eingesetzt wird.
Anne Du hast mir erzählt, dass die Postkarten aus dem Familienfundus stammen. Was reizt Dich am Umgang mit Material aus der Familiengeschichte?
Thyra Für die Wahl des Bildmaterials benötige ich einen intimen oder privaten Zugang; wären diese Karten ohne familiären Hintergrund in meine Hände gelangt, hätte ich diese wohl nicht benutzt. Ich gehe also zunächst von etwas Persönlichem aus, ohne aber meine Biografie oder Biografisches im Allgemeinen zu thematisieren, und abstrahiere das im weiteren Gestaltungsprozess. Generell verwende ich keine Namen, verweise nicht auf bestimmte Personen und Identitäten.
Anne Im Siebdruckverfahren lösen die klaren Konturen der Motive sich auf. Das Bild wird von Dir in einzelne Punkte zerlegt, die sich beim Betrachten wieder zu einem Bild zusammensetzen. Du entscheidest dabei über Größe und Farbigkeit. Diese Eingriffe schreiben Dich in die – in diesem Fall vorgefundenen – Bilder ein. Warum arbeitest Du gern mit Siebdruck? Wie arbeitest Du mit Vorlagen, mit gefundenen oder selbst hergestellten? Wie wählst Du Farben aus?
Thyra Das Sich-in-die-Bilder-Einschreiben finde ich sehr treffend! Wenn ich mit gefundenem Material arbeite, mache ich mir damit vielleicht Erinnerungen zu eigen, die nicht auf Selbsterlebtem beruhen. Für Komplimente habe ich nur Ausschnitte der Karten, und zwar ein sich wiederholendes Bildelement, verwendet und diese stark vergrößert. Ob eigene oder gefundene Vorlagen, ich wähle meist ein grobes Raster für Fotografien im Siebdruck. Ich denke, so lässt sich der fotografische Realitätsbezug relativieren und abstrahieren. Mit dem Siebdruckverfahren arbeite ich auch gern, weil ich dabei alles per Hand mache, alle Drucke sind von mir selbst gerakelt. Das ist für mich eine Alternative zu den vielen digitalen Techniken, die ich sonst für meine Arbeiten nutze. Die Farben werden von mir gemischt; das mache ich sehr intuitiv und achte auf einen bestimmten Farbklang, den ich erzeugen möchte.
Anne Nochmal zurück zum Raum: Wie bist Du mit dem von mir vorgeschlagenen räumlichen und technischen Setting „Vier Wände, drei Projektionen, ein Text“ umgegangen? Hast Du auch mit dem Titel der Reihe Stille Projektionen gearbeitet?
Thyra Ich habe mir den Raum als Bühne vorgestellt. Das Setting bezog sich ja ursprünglich auf den Ausstellungsraum Q18 im Quartier am Hafen, dort wollte ich alles zu einem Gesamtbild an einer Wand arrangieren. Hier im Club Eigelstein, mit dem Blick auf die und von der Fußgängerzone aus, ergibt sich ein interessantes, auch bühnenartiges Wechselspiel zwischen Innen- und Außenraum. Beim Titel habe ich assoziativ gedacht: Was projiziert man auf andere? Was erwartet man? In was fühlt man sich ein?
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Stille Projektionen: Komplimente
2024, Gespräch zwischen Anne Schülke und Thyra Schmidt über die Ausstellung
Die Ausstellung Komplimente ist Teil der Reihe Stille Projektionen, kuratiert von Anne Schülke für Quartier am Hafen|Q18, Köln.
Anne Schülke Wenn ich den Raum betrete, sehe ich rechts an der Wand eine Reihe von Siebdrucken. Gegenüber eine Projektion. Der Raum ist nicht abgedunkelt. Durch die großen Fenster kann ich auf eine belebte Einkaufsstraße schauen. Die Projektion zeigt einen Dialog. Beim Lesen des Dialogs an der Wand habe ich das Gefühl einem Gespräch zu folgen, das nicht für eine öffentliche Situation bestimmt, das eher intim ist. Ich kann den Text, den ich beim ersten Lesen wie einen Chat auf dem Smartphone verfolge, auch von draußen, von der belebten Einkaufsstraße aus wahrnehmen. So entsteht eine Spannung zwischen verschiedenen Räumen. Wie würdest Du diese Räume beschreiben? Und was bedeutet Intimität für Deine Arbeit?
Thyra Schmidt Die Inhalte meiner Arbeiten basieren auf Erlebnissen und Beobachtungen, die mich nicht mehr loslassen und die für mich von Bedeutung sind oder werden. Dabei beschäftige ich mich mit Menschen in meinem Umfeld und versuche unterschiedliche Sichtweisen aufzugreifen. Ein stetiger Perspektivenwechsel kann vielschichtige gedankliche Räume entstehen lassen. Ich denke, Intimität ist etwas, was uns alle verbindet.
Anne Der Dialog zwischen den Figuren im projizierten Text ist so offen, dass unklar bleibt, wer spricht. So entstehen auch Räume zwischen den Wörtern. Das finde ich sehr angenehm, weil ich mich in dieses Dazwischen hineindenken und hineinfühlen kann. Möchtest Du etwas über Deine Arbeitsweise erzählen? Wie ist der Text entstanden?
Thyra Der Text ist als Reaktion auf eine Postkartenserie mit einem wiederkehrenden Fotosujet, das mir als Vorlage für die Siebdrucke diente, entstanden. Er kann aber auch unabhängig von der Bildreihe als eigenständige Arbeit betrachtet werden. Während ich einen Text entwickle, habe ich auch immer dessen bildnerische Komponente und die Umsetzung in einem geeigneten Medium im Blick. Das Sequenzhafte des Kartenmotivs suggeriert eine zeitliche Abfolge, die ich mit der Form des nach und nach projizierten Dialogs wieder aufnehme.
Anne Die Postkartenserie und Deine Siebdrucke zeigen auch eine Abfolge von Posen: Eine weiblich gelesene Person wartet; sitzend und untätig. Ihre Hände sind gefaltet, an Brust und Kinn gelegt oder halten ein Portrait. Sie performt Weiblichkeit als eine Idee von Geschlecht. Wie hast Du darauf reagiert?
Thyra Die Dialogform war nicht nur eine formale Entscheidung. Als Reaktion auf diese konservative Darstellung von Weiblichkeit wollte ich eine feminine, erotische und humorvolle Textarbeit machen und erfand hierfür eine Konversation zwischen Muse und Künstlerin, in der die beiden Figuren ineinander übergehen. Im Gegensatz zum eher klassischen Bild der passiven Muse, interpretiere ich diese Figur als aktiv teilnehmend.
Die Projektion findet im Loop statt. Der bewusst kurz gehaltene Inhalt kann so immer wieder neu gelesen werden. Durch die Wiederholung lassen sich einzelne Aspekte unterschiedlich deuten, was aus meiner Sicht auch eine Mehrstimmigkeit hervorrufen kann.
Anne Wenn ich mich den Siebdrucken genauer zuwende, spüre ich, dass die Motive nicht zeitgenössisch sind. Im Begleittext erfahre ich, dass die Postkarten im 1. Weltkrieg als Teil der Kriegspropaganda eingesetzt wurden. Steht die Arbeit für Dich in einem Zusammenhang mit heutigen Kriegen?
Thyra Vor dem 1. Weltkrieg gab es nebeneinander verschiedenste Kunstbewegungen mit internationalen Künstler*innengruppen in Deutschland, in Europa. Geprägt von männlichen Künstlern; Frauen hatten in kaum einem Land Wahlrecht und zu Kunstakademien oft nur einen eingeschränkten Zugang, dennoch waren auch sie in der Kunstszene einflussgebend. Der Krieg unterbrach die Zusammenarbeit diverser Gruppierungen, verbannte die Beteiligten zurück in ihre Herkunftsländer oder an die Fronten. Das dazu gelieferte Bild der Kriegspropaganda, mit der Frau am heimischen Tisch auf ihren Soldaten wartend, ist schlicht absurd. Auf diese Vorstellung reagiere ich als Künstlerin.
Dieses künstlerische Selbstverständnis wird konfrontiert mit aktuellen Kriegen, die uns wieder und wieder vor Augen führen, dass Gewalt gegen Frauen und den weiblichen Körper gezielt als Kriegswaffe eingesetzt wird.
Anne Du hast mir erzählt, dass die Postkarten aus dem Familienfundus stammen. Was reizt Dich am Umgang mit Material aus der Familiengeschichte?
Thyra Für die Wahl des Bildmaterials benötige ich einen intimen oder privaten Zugang; wären diese Karten ohne familiären Hintergrund in meine Hände gelangt, hätte ich diese wohl nicht benutzt. Ich gehe also zunächst von etwas Persönlichem aus, ohne aber meine Biografie oder Biografisches im Allgemeinen zu thematisieren, und abstrahiere das im weiteren Gestaltungsprozess. Generell verwende ich keine Namen, verweise nicht auf bestimmte Personen und Identitäten.
Anne Im Siebdruckverfahren lösen die klaren Konturen der Motive sich auf. Das Bild wird von Dir in einzelne Punkte zerlegt, die sich beim Betrachten wieder zu einem Bild zusammensetzen. Du entscheidest dabei über Größe und Farbigkeit. Diese Eingriffe schreiben Dich in die – in diesem Fall vorgefundenen – Bilder ein. Warum arbeitest Du gern mit Siebdruck? Wie arbeitest Du mit Vorlagen, mit gefundenen oder selbst hergestellten? Wie wählst Du Farben aus?
Thyra Das Sich-in-die-Bilder-Einschreiben finde ich sehr treffend! Wenn ich mit gefundenem Material arbeite, mache ich mir damit vielleicht Erinnerungen zu eigen, die nicht auf Selbsterlebtem beruhen. Für Komplimente habe ich nur Ausschnitte der Karten, und zwar ein sich wiederholendes Bildelement, verwendet und diese stark vergrößert. Ob eigene oder gefundene Vorlagen, ich wähle meist ein grobes Raster für Fotografien im Siebdruck. Ich denke, so lässt sich der fotografische Realitätsbezug relativieren und abstrahieren. Mit dem Siebdruckverfahren arbeite ich auch gern, weil ich dabei alles per Hand mache, alle Drucke sind von mir selbst gerakelt. Das ist für mich eine Alternative zu den vielen digitalen Techniken, die ich sonst für meine Arbeiten nutze. Die Farben werden von mir gemischt; das mache ich sehr intuitiv und achte auf einen bestimmten Farbklang, den ich erzeugen möchte.
Anne Nochmal zurück zum Raum: Wie bist Du mit dem von mir vorgeschlagenen räumlichen und technischen Setting „Vier Wände, drei Projektionen, ein Text“ umgegangen? Hast Du auch mit dem Titel der Reihe Stille Projektionen gearbeitet?
Thyra Ich habe mir den Raum als Bühne vorgestellt. Das Setting bezog sich ja ursprünglich auf den Ausstellungsraum Q18 im Quartier am Hafen, dort wollte ich alles zu einem Gesamtbild an einer Wand arrangieren. Hier im Club Eigelstein, mit dem Blick auf die und von der Fußgängerzone aus, ergibt sich ein interessantes, auch bühnenartiges Wechselspiel zwischen Innen- und Außenraum. Beim Titel habe ich assoziativ gedacht: Was projiziert man auf andere? Was erwartet man? In was fühlt man sich ein?
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